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Rechtsanwälte Andrae & Simmer
LG Koblenz: Belehrung über Widerrufsformular auch im Check-Out noch rechtzeitig
von RA Florian Decker, RAe Andrae & Simmer, Saarbrücken, Juli 2019


Unter dem Aktenzeichen 1 HK O 2/19 hatte das LG Koblenz (Urteil vom 12.06.2019) über folgenden Fall zu entscheiden:

Der klagende, rechtsfähige Abmahnverein I aus L hatte den beklagten Onlinehändler abgemahnt und von diesem eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungsvereinbarung abgeschlossen, nach welcher der Beklagte es zu unterlassen habe, Waren online anzubieten, ohne den Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung in klarer und verständlicher Weise über das Muster-Widerrufsformular (Anlage 2 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 u. § 2 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB) zu informieren. Am 23. November 2016 unterzeichnete die Beklagte folgende Erklärung:

„Die Firma ... verpflichtet sich gegenüber dem I….e.V., es bei Vermeidung einer für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung fälligen, vom I….e.V. zu bestimmenden und im Streitfalle vom zuständigen Gericht auf Angemessenheit zu überprüfenden und von der Firma … zu zahlenden Vertragsstrafe zu unterlassen,
1. im geschäftlichen Verkehr mit dem Endverbraucher im Fernabsatz betreffend Textilien und/oder Schuhe und/oder Sportzubehör Angebote zu veröffentlichen und/oder zu unterhalten,
2. bei denen eine Widerrufsbelehrung ohne Information über das Muster-Widerrufsformular gemäß dem amtlichen Muster zur Verfügung gestellt wird
...“

Der Kläger verlangte wegen Verletzung dieser Vereinbarung sodann mit Schreiben vom 20. August 2018 Vertragsstrafe von 1500 € zu zahlen, weil die Beklagte u. a. weiterhin nicht über das Muster-Widerrufsformular informiere. Dabei vertrat der Kläger (so auch im folgenden Prozess) die Auffassung, über das Muster-Widerrufsformular müsse „vor Beginn der Einleitung des Bestellvorgangs" informiert werden, nicht erst „nachdem der Verbraucher die Ware in den Warenkorb gelegt hat, sich angemeldet hat, die Angaben zur Versandinformation sowie zur Zahlungsweise abgegeben hat, unmittelbar bevor der Käufer seine verbindliche Kaufentscheidung durch Klick auf den Button „zahlungspflichtig bestellen" abgibt".

Neben anderen Einwendungen stützte sich die Beklagte in Ihrer Verteidigung darauf, dass der Kunde auf der Website der Beklagten „im Rahmen des Weges zum Abschluss der Bestellung" aufgefordert werde, „die Widerrufsbelehrung und AGB als gelesen und akzeptiert zu bestätigen". Die „Aufforderung zur Bestätigung" erfolge „unmittelbar, bevor der Käufer sein verbindliches Kaufangebot durch Klick auf den Button „zahlungspflichtig bestellen" abgebe und zwar auf der „Checkout-Seite".

Dies genüge den gesetzlichen Vorgaben auch dann, wenn die Widerrufsbelehrung bzw. das Widerrufsformular an keiner anderen Stelle der Webseite offen verlinkt bereitgestellt werde.

Das LG Koblenz gab der Beklagten Recht und wies die Klage mit folgender Begründung hierzu ab:

Gemäß § 312d Abs. I S. I BGB ist der Unternehmer bei Fernabsatzverträgen verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe von Art. 246a EGBGB zu informieren. Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. I BGB zu, ist der Unternehmer nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S.1 Nr. 1 EGBGB verpflichtet, den Verbraucher u. a. über das Muster-Widerrufsformular (Anlage 2 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. I Nr. 1 u. § 2 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB) zu informieren. Gemäß Art. 246a § 4 Abs. 1 EGBGB muss der Unternehmer dem Verbraucher diese Information vor Abgabe von dessen Vertragserklärung in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung stellen. Bei einem Fernabsatzvertrag muss der Unternehmer nach Art. 246a § 4 Abs. 3 S. I EGBGB dem Verbraucher die Informationen in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise zur Verfügung stellen.

a)
Die Beklagte hat nicht gegen die Verpflichtung verstoßen, es zu unterlassen, „im geschäftlichen Verkehr mit dem Endverbraucher im Fernabsatz betreffend Textilien und/oder Schuhe und/oder Sportzubehör Angebote zu veröffentlichen und/oder zu unterhalten, ... bei denen eine Widerrufsbelehrung ohne Information über das Muster-Widerrufsformular gemäß dem amtlichen Muster zur Verfügung gestellt wird".
Zwar wird ein Kunde, der sich auf der Website „www…de" mit dem Warenangebot der Beklagten befasst, nicht „im Rahmen des Weges zum Abschluss der Bestellung" aufgefordert“, die Widerrufsbelehrung ... als gelesen und akzeptiert zu bestätigen" (s. Bl. 79 d. A.).

Jedoch kann er auf der Seite „Bestellung aufgeben" durch Betätigen der Schaltfläche „[mehr]" hinter „Widerrufsbelehrung" ein „Pop up"-Fenster mit Information zum „Widerrufsformular" öffnen (s. Bl. 79R d. A.)


Wann während des Bestellvorgangs die Information über das Muster-Widerrufsformular zur Verfügung gestellt werden muss, ist in der von der Beklagten unterzeichneten „Unterlassungsverpflichtungserklärung" weder ausdrücklich noch durch Verweis auf Art. 246a § 4 Abs. 1 EGBGB festgelegt.

b)
Art. 246a § 4 Abs. I EGBGB bestimmt nicht, wann vor Abgabe der Vertragserklärung des Verbrauchers der Unternehmer die Information über das Muster-Widerrufsformular zur Verfügung stellen muss.

Dem Verbraucher wird diese Information „vor Abgabe seiner Vertragserklärung" zur Verfügung gestellt, wenn er sie zur Kenntnis nehmen und auf ihrer Grundlage eine Entscheidung treffen kann, bevor er durch seine Vertragserklärung entweder den auf die Schließung des Vertrags gerichteten Antrag des Unternehmers annimmt oder dem Unternehmer - auf dessen „invitatio ad offerendum" hin - seinerseits die Schließung des Vertrags anträgt (vgl. OLG Köln Urt. v. 8. Mai 2015 - 6 u 137/14 -; Schneider/Kosmides, Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl. 2017, B. 11. 2.2.1 .4.1 ).

Es ist daher nicht erforderlich, die Information über das Muster-Widerrufsformular schon „vor Beginn der Einleitung des Bestellvorgangs" (s. Bl. 98 d. A.) zur Verfügung zu stellen.

Da der Unternehmer dem Verbraucher die Information nach Art. 246a § 4 Abs. I EGBGB anders als nach Art. 246 § 1 Abs. I EGBGB a. F. nicht „rechtzeitig" zur Verfügung stellen muss, kann angenommen werden, dass es genügt, sie unmittelbar vor Abgabe der Vertragserklärung des Verbrauchers zur Verfügung zu stellen (Schneider/Kosmides a.a.O.; Schirmbacher/Schmidt CR 2014, 107, 111).

c)
§ 312d BGB a in Verbindung mit Art. 246a EGBGB - setzt u. a. Art. 6 Abs. 1 lit h) RL 2011/83/EU um (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, § 312d BGB Rn. 1). Nach dieser Bestimmung informiert der Unternehmer den Verbraucher im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts über das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B, bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz (s. Art. 2 Nr. 7 RL 2011/83/EU) gebunden ist. Dieser Regelung entspricht Art. 246a § 4 Abs. 1 EGBGB, soweit dort bestimmt ist, dass der Unternehmer dem Verbraucher die Information über das Muster-Widerrufsformular „vor Abgabe von dessen Vertragserklärung" zur Verfügung stellen muss. Denn der Verbraucher wird durch einen Vertrag im Fernabsatz gebunden, wenn er durch seine Vertragserklärung entweder den auf die Schließung des Vertrags gerichteten Antrag des Unternehmers annimmt oder dem Unternehmer - auf dessen „invitatio ad offerendum" hin - seinerseits die Schließung des Vertrags anträgt. Art. 246a § 4 Abs. 1 EGBGB kann keine strengere Vorschrift als Art. 6 Abs. 1 lit. h) RL 2011/83/EU sein, weil die Mitgliedstaaten (der Europäischen Union) nach Art. 4 RL 2011/83/EU von den Bestimmungen der Richtlinie abweichende strengere innerstaatliche Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus weder aufrechterhalten noch einführen.

d)
Da der Verbraucher auf der Seite „Bestellung aufgeben" durch Betätigen der Schaltfläche „[mehr]" hinter dem Hinweis „Widerrufsbelehrung" ein „Pop up"-Fenster mit Information zum „Widerrufsformular" öffnen kann, wird ihm diese Information in einer dem benutzten Fernkommunikationsmittel angepassten Weise „zur Verfügung gestellt" (vgl. BGH Urt. v. 9. Nov. 2011 ü l ZR 123/10 -). Der Hinweis „Widerrufsbelehrung" genügt, um dem Verbraucher zu verdeutlichen, dass er alle benötigten Informationen über sein Widerrufsrecht einschließlich der Information über das Muster-Widerrufsformular erhalten wird, wenn er die Schaltfläche betätigt (vgl. OLG Frankfurt/Main Urt. v. 14. Dez. 2006 - 6 U 129/06 - und LG Berlin Urt. v. 20. Nov. 2015 - 103 0 80/15 - m. zust. Anm. Junker jurisPR-ITR 16/2016 Anm. 4 zur Kennzeichnung des „Links").

e)
Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden (Urt. v. 16. Juli 2009 - I ZR 50/07 - m. w. N.), dass dem Verbraucher Preisinformationen nicht erst angegeben werden dürfen, „wenn er den Bestellvorgang durch Einlegen der Ware in den virtuellen Warenkorb bereits eingeleitet hat".
Preisinformationen müssen indes nach § 1 Abs. 6 S. 2 PAngV dem Angebot oder der Werbung eindeutig zugeordnet werden. Gemäß Art. 7 Abs. 4 lit. c) RL 2005/29/EG gelten sie im Falle der Aufforderung zum Kauf als wesentlich. Werden wesentliche Informationen gemäß Art 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG (Informationen, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen) unter Berücksichtigung der darin beschriebenen Einzelheiten nicht rechtzeitig bereitgestellt, gilt dies nach Art. 7 Abs. 2 RL 2005/29/EG als irreführende Unterlassung.

Jedoch folgt aus Art. 7 Abs. 4 RL 2005/29/EG, dass die Information über das Muster-Widerrufsformular - anders als nach Art. 7 Abs. 4 lit. d) RL 2005/29/EG die Information über das Bestehen des Widerrufsrechts - im Falle der Aufforderung zum Kauf (gemäß Art. 2 lit. i) RL 2005/29/EG jeder kommerziellen Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen) nicht als wesentlich gilt. Art. 7 Abs. 4 RL 2005/29/EG enthält eine abschließende Aufzählung der im Falle der Aufforderung zum Kauf als wesentlich geltenden Informationen (EuGH Urt. v. 26. Okt. 2016 - C-61 1/14 -), die die Information über das Muster-Widerrufsformular nicht umfasst. Die Bestimmung wurde nach Inkrafttreten der Richtlinie 2011/83/EU nicht geändert.

Zudem ist die Information über das Muster-Widerrufsformular nicht geeignet, die Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen, ob er einen Fernabsatzvertrag schließen soll oder ob er hiervon absehen soll (EuGH Urt. v. 23. Jan. 2019 - C-430/17 - zur Schließung des Vertrags mittels eines Fernkommunikationsmittels, auf dem für die Darstellung der Information nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, m. Bespr. Schirmbacher WRP 2019, 312, 317 - „auch, wenn der Platz nicht beschränkt ist" - u. Becker/Rätze WRP 2019, 429, 435 - „auch außerhalb von Werbemitteln mit beschränktem Raum und Zeit" -). Der durchschnittliche Verbraucher benötigt sie nicht, bevor er sich für den Erwerb einer Ware entscheidet und den Bestellvorgang beginnt.“


Fazit:

Das LG Koblenz hat in einer gut begründeten Entscheidung über eine Frage entschieden, die noch ihrer höchstrichterlichen Klärung harrt und doch für die Praxis von nicht unerheblicher Bedeutung sein kann.

Bei unklarer Lage ist der auf maximale Rechtssicherheit bedachte Händler gehalten, den Verbraucher mit Widerrufsbelehrungen und Widerrufsformularen an vielen verschiedenen Stellen mit diesen Texten zu konfrontieren. Das bringt erheblichen Pflegeaufwand für den Händler mit sich, ohne dass es für den Verbraucherkäufer von gesteigertem Nutzen wäre. Der Informationszweck kann hierdurch sogar konterkariert werden, da der Verbraucher erfahrungsgemäß proportional weniger Lust hat Rechtstexte zu lesen und zu verstehen, je länger diese werden und je öfter diese sich wiederholen.

Ein klares Wort aus der Rechtsprechung war hier wünschenswert. Das LG Koblenz hat es als eines der ersten Gerichte in Deutschland gesprochen.

Die Entscheidung ist aktuell (Juli 2019) noch nicht rechtskräftig. Der klagende Verband hat Berufung zum OLG Koblenz (Az.: 9 U 1262/19) eingelegt.
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