RAe Andrae & Simmer GbR
Nell-Breuning-Allee 6
66115 Saarbrücken
Tel. 0681/38943-0
Fax 0681/373916
Rechtsanwälte Andrae & Simmer

BGH: Beweislastumkehr nach § 476 BGB weiter auszulegen als bisher

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 12.10.2016 - VIII ZR 103/15) hat in Umsetzung der Erwägungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (Urteil vom 4. Juni 2015 - C-497/13) seine Rechtsprechung zum § 476 BGB abgeändert.

Der Kläger hatte einen bei einem Unternehmer einen gebrauchten BMW 525d Touring gekauft. Nach knapp fünf Monaten und etwa 13.000 Kilometern Laufleistung stellte er fest, dass das Automatikgetriebe nicht mehr selbständig in den Leerlauf schaltete und stattdessen der Motor jeweils abstarb. Auch ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich. Der Beklagte verweigerte die Gewährleistung. Der Kläger trat vom Kauf zurück und klagte auf Rückabwicklung.

Damit war er in den Vorinstanzen erfolglos, da er den Beweis dafür schuldig blieb, dass das Fahrzeug schon bei Übergabe an einem Mangel litt (vgl. Landgericht Frankfurt - Az. 2/18 O 443/10 sowie Oberlandesgericht Frankfurt - Az. 2/18 O 443/10). Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass die Ursache der Symptome (Schädigung des Freilaufs des hydrodynamischen Drehmomentwandlers) nicht einfach auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen war. Im Einklang mit der bisher auch vom BGH vertretenen Auslegung des § 476 BGB greife die Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB daher nicht ein. Es müsse nämlich hierfür zunächst nachgewiesen werden, dass ein Symptom auf einen Mangel der Sache (also gerade nicht auf einen Bedienfehler) zurückzuführen sei und dann werde in zeitlicher Hinsicht vermutet, dass ein solcher innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretener Sachmangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen habe. Das Vorliegen des Mangels selbst werde nicht vermutet.

Der VIII. Zivilsenat des BGH passte nun in seiner Revisionsentscheidung seine bislang zu § 476 BGB entwickelten Grundsätze zugunsten des Käufers an. Lege man den § 476 im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, dessen Umsetzung § 476 BGB in nationales Recht diente, aus, so sei die Beweislastumkehrregelung zugunsten des Verbrauchers in mehrfacher Hinsicht zu erweitern. Der Käufer müsse nur noch darlegen und beweisen, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang an der Kaufsache ein mangelhafter Zustand (eine "Mangelerscheinung") gezeigt hat, der eine Haftung des Verkäufers begründen würde, wenn er auf einen dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand zurückzuführen wäre. Dagegen müsse der Käufer weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese Ursache in den Verantwortungsbereich des Verkäufers falle. Beides werde vermutet. Darüber hinaus umfasse die Vermutungswirkung auch die sachliche Annahme, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen habe.

Früher musste der Käufer nachweisen, dass ein unstreitig oder nachgewiesen erst nach Gefahrübergang aufgetretener Mangel latent schon vorher vorhanden war. Nun muss er nur noch das Auftretend es Mangels nachweisen und der Verkäufer wäre zum Gegenbeweis verpflichtet.


FAZIT:

Der BGH legt vorliegend im Ergebnis allen gewerblichen Warenverkäufern die Daumenschrauben an. Eigentlich gilt im Zivilverfahren die Regel, dass jeder vor Gericht die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs beweisen muss. Verkürzt: Wer etwas haben will, muss Beweise bringen. Der europäische Gesetzgeber war der Meinung, das müsse dem Verbraucher erleichtert werden und schuf Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der zum deutschen § 476 BGB führte. Nach dessen nun geänderter Auslegung muss der Käufer beim Verbrauchsgüterkauf fast nichts mehr tun außer zu belegen, dass binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang ein mangelhafte Zustand eingetreten ist. Der Verkäufer muss dann – will er nicht verurteilt werden - darlegen und nachweisen, dass der Zustand zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil er seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen hat, dass erst nach Gefahrübergang aufgetreten ist und für das er als Verkäufer nicht verantwortlich ist. Schafft er es nicht hinreichend, diesen vollen Gegenbeweis zu erbringen so greift zu Gunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB ein. Das gilt selbst dann, wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt seines Auftretens in der Beweisaufnahme nicht geklärt werden konnten.

Einen Lichtblick mag man darin sehen, dass es dem Verkäufer unbenommen bleibt, sich zur Aushebelung des § 476 BGB darauf zu stützen, dass die Vermutung, dass bereits bei Gefahrübergang im Ansatz ein Mangel vorlag, mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar ist (§ 476 BGB am Ende). Auch kann der Käufer im Einzelfall gehalten sein, Vortrag zu seinem Umgang mit der Sache nach Gefahrübergang zu halten, wenigstens im Wege der sog. sekundären Darlegungslast (wenn Umstände betroffen sind, die nur der Käufer erläutern kann).

Bezüglich des Ausgangsfalles, muss das Berufungsgericht nun nach Maßgabe der Rechtsmeinung des BGH neu entscheiden. Es bleibt abzuwarten, ob dem beklagten Autohändler der Nachweis gelungen ist, dass der akut aufgetretene Schaden am Freilauf des Drehmomentwandlers zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs auch nicht im Ansatz vorlag, sondern auf eine nachträgliche Ursache (Bedienungsfehler) zurückzuführen war.


von RA Decker, Oktober 2016
×

Nachricht

Auf dieser Website sind Cookies aktuell deaktiviert

Diese Website kann Cookies zur Authentifizierung, Navigation und für andere Funktionen nutzen und somit das interaktive Erlebnis verbessern.
Um den vollen Funktionsumfang nutzen zu können, stimmen Sie bitte nachfolgend der Nutzung von Cookies zu.

zu unserer Datenschutzerklärung

Sie haben den Einsatz von Cookies ausdrücklich abgelehnt.
Diese Entscheidung können Sie nachfolgend widerrufen und dem Einsatz von Cookies zustimmen.